Messen und Vermessen durchdringen unser ganzes Leben. Grosses lässt sich ethnologisch aber keinesfalls über Masse oder Ausmasse allein analysieren. Um als ‹Gross› anerkannt zu sein, bedarf es weiterer Merkmale, die kulturell rückgebunden sein sollten – sei es an globale Vorstellungen wie etwa bei Hochhäusern mit ihrer symbolischen Kraft, an lokale Ausprägungen wie bei Tauschsystemen oder an Weltbilder spezifischer Gemeinschaften wie etwa religiöser Gruppierungen mit ihren sakralen Skulpturen. Zum Grossen gehört auch eine Relativierung, die in der Formel ‹grösser als› ausgedrückt werden kann; meistens ist damit der Mensch als Massstab, human scale, verbunden.
Mit der ethnologischen Betrachtung von Grösse und Grossem ist noch kein eigenständiges Forschungsfeld etabliert; vielmehr handelt es sich dabei um ein Querschnittsthema, das in allen ethnologischen Themenfeldern einen Stellenwert hat oder haben sollte. Mit der Ausstellung ‹GROSS – Dinge Deutungen Dimensionen› und der gleichnamigen Publikation unternehmen wir eine erste Annäherung, in der wir Streiflichter auf Grosses im ökonomischen, sozialen, politischen und religiösen Bereich werfen.
In der Publikation behandelt Beatrice Voirol in ihrem Beitrag «Ethnologie der Grösse – ein erstes Vermessen» exemplarisch vier Dinge – das Teleskop, das Metermass, den Container und das Brustimplantat. Angeleitet von der Prämisse, dass sowohl der Prozess des Vergrösserns als auch jener der Normierung kulturell verortet sind, stellt sie die wissenschaftliche der religiösen Kosmologie gegenüber und verhandelt Vorstellungen von Maximierung – sei es im Ökonomischen oder in der Schönheitsindustrie. Michael Hirschbichler verfolgt in «Totale Architektur: Opposition und Integration im Langhaus der Gogodala» in Papua-Neuguinea das ehrgeizige Projekt, die Sozialstruktur dieser Gruppe zu Besonderheiten der Architektur des Langhauses und seiner multiplen Nutzung in Verbindung zu setzen. Er interpretiert das Langhaus als «physische Materialisierung» und integrierendes Element der überlappenden Ordnungsschemata dieser Gruppe. Reinhard Wendler befasst sich mit dem Phänomen «Big Data und andere Giganten». Ausgehend von der Figur des Riesen in Sagen und Erzählungen bezeichnet er die ungeheure Datenmenge – eben das Phänomen big data – als «Halbgiganten, als ein Mischwesen, das zugleich unermesslich gross und überraschend klein ist». Klein deshalb, weil die Datenmasse noch längst nicht vermag, den Reichtum und die Fülle des Lebens zu erfassen; gross deshalb, weil Anwendung und Handhabung der Daten – dazu gehört wesentlich die Entwicklung von entsprechenden Programmen – zu einschneidenden Veränderungen des menschlichen Lebens führen wird. Zwischen diesen Essays sind Zeugnisse einer wahren Vermessungsmanie eingestreut. Beatrice Voirol, Daniel Wyss, Réka Mascher und Anna Karsko haben dazu Faktisches und Erstaunliches zusammengetragen. Das Spektrum reicht von Formeln zur Eruierung des Normalgewichts und Intelligenzquotienten über Grössenverhältnisse zwischen Mann und Frau bis hin zur Berechnung des Wertes eines Strassenverkehrsopfers in der Schweiz:
2,94 Millionen CHF.
Trotz all der Messungen und Zahlen bedarf es weiterer Parameter für eine ‹Ethnologie der Grösse›. Dies soll an einem Beispiel deutlicher werden.